Schwimmen mit Bart

Unveränderte Wiedergabe eines Artikels aus dem "Magazin" 12/1972, Seiten 48 und 49.

Kosmetik für die Saale

„An der Saale hellem Strande“ - diese Dichter-Worte sind zu einem Märchen aus grauer Vorzeit geworden. Dr. Klaus Wehnert, Sekretär der Arbeitsgruppe Landeskultur beim Rat des Bezirks Halle, diagnostizierte in einem MAGAZIN-Gespräch den Zustand der Saale und ihrer Ufer so:

„Die Saale ist durch industrielle und kommunale Abwässer über das übliche Maß hinaus verschmutzt. Ihr Wasser sieht graubraun-schwarz aus. An manchen der vorhandenen Wehre ist das Wasser zu bestimmten Zeitpunkten sehr stark mit Schaum bedeckt. An den Ufern ist durch den Gehalt an Salzen und industriellen Verunreinigungen das normale Süßgras, das bei entsprechender Pflege dort wächst, nicht mehr vorhanden. Statt dessen gedeihen vor allem Unkräuter. die mannshoch wachsen, so daß man nur noch schwer ans Ufer kommt und auch der Anblick alles andere als schön ist. Niemand verschließt vor diesem bedauerlichen Zustand die Augen. Aber er wird nicht so bestehen bleiben. Auf Initiative der Bezirksleitung Halle der Sozialistischen Einheitsparteí Deutschlands wurde das Programm "Reinhaltung der Saale" beschlossen. Entsprechende Maßnahmen werden konkret in die Pläne der Betriebe aufgenommen, die Hauptversclmutzer der Saale sind. Man wird in der Saale wieder baden und an ihren Ufern promenieren und sich sonnen können.“

Doch machen wir zunächst Bestandsaufnahme. Worin hat sich der Zustand der Saale und ihrer Ufer gegenüber dem idyllischen Naturzustand vor dem Zeitalter der chemischen Großindustrie verändert? Dr. Wehnert spezifizierte seine Diagnose wie folgt:

„1. Da die industriellen und kommunalen Abwässer nicht oder ungenügend geklärt in die Saale und ihre Nebenflüsse eingeleitet werden, spielt sich der Prozeß des biologischen Abbaus der in den Abwässern enthaltenen Stoffe statt in einer Kläranlage in der Saale selbst ab. Bei diesen Faulprozessen entstehen übelriechende Gase, so daß es zu einer Geruchsbelästigung im Bereich des Flusses und seiner Ufer kommt. Es riecht nach Faulgasen. Unsere Chemiewerker sagen auch, sie würden ihren Betrieb riechen, wenn sie an die Saale gehen oder sich in ihrer unmittelbaren Nähe ins Grüne legen.

2. Die Verschmutzung der Saale tritt auch optisch in Erscheinung. Ihr Wasser sieht nicht mehr hell und klar aus, sondern schwärzlich mit einem Ton ins Braune. Wenn im Buna-Werk bestimmte Produkte hergestellt werden, steigt der Schaumbesatz an den Wehren der Saale häßlich an.

3. Man kann etwa ab Naumburg-Weißenfels in der Saale nicht mehr baden. Jedenfalls käme man schmutzig aus dem Wasser. Es hat sich die Redensart ausgebildet, daß man einen Bart hat, wenn man nach einem Bad aus der Saale steigt. Bis unter die Nase, die man beim Baden ja über dem Wasser halten muß, bildet sich also ein Schmutzrand auf der Haut. Die Badeanstalten der Saale haben ihren Betrieb eingestellt.

4. Der Sauerstoffgehalt der Saale ist beträchtlich abgesunken. Durch die Abwässer der Kaliindustrie ist das Wasser mit einem hohen Salzgehalt beladen. Das wirkt sich zwar optisch nicht aus und würde auch beim Baden nicht stören. Aber der Salzgehalt in Verbindung mit den übrigen industriellen Abfallstoffen schädigt das Pflanzenwachstum an den Ufern, so daß sie einen verwilderten Eindruck machen und als Erholungsgebiet ausfallen.

5. Die Nutzung des Saalewassers durch die Landwirtschaft ist erheblich eingeschränkt. Im Frühjahr, wenn noch keine Früchte auf den Feldern wachsen, kann man Saalewasser zwar noch zur Bewässerung nutzen, später kaum noch."

 

Wie ist es dazu gekommen? - Hauptverschmutzer der Saale sind insbesondere fünf große Betriebe unserer Chemieindustrie, nämlich der VEB Leunawerke "Walter Ulbricht", die Bunawerke, die Zellstoff- und Papierfabrik Merseburg und ferner die Kombinatsbetriebe in Böhlen und Espenhain. Diese beiden leiten ihre Abwässer zwar nicht direkt in die Saale, sondern in die Weiße Elster, aber von hier aus fließen sie in die Saale. Dementsprechend sieht das Programm "Reinhaltung der Saale" vor, in den fünf Betrieben neue, hocheffektive Kläranlagen zu bauen. Ziel ist es, daß die ganze Saale wieder so sauber werden soll wie im Abschnitt zwischen Bad Kösen und Naumburg.

Aber hätte man nicht verhindern können, daß es überhaupt erst zu einem so hohen Verschmutzungsgrad des Flusses kam? Unsere volkseigene Industrie hat in puncto Umweltschutz praktisch beim Nullpunkt anfangen müssen. Die kapitalistischen Konzerne hatten die Abwässerreiniguııg vollkommen vernachlässigt. Wenn das trotzdem nicht zu einer starken Verschmutzung der Saale führte, dann nur deshalb, weil die Produktion der Werke damals weit niedriger lag. In der Zeit des sozialistischen Aufbaus und Ausbaus unserer volkseigenen Chemie-Industrie kam es zunächst vorrangig auf die Steigerung der Produktion an. Wollte nicht jeder mehr Dederon-Strümpfe, Unterwäsche, moderne Waschmittel und ungezählte andere Produkte haben, für die als Zwischenprodukte und Hilfsstoffe große Mengen von Erzeugnissen der chemischen Großindustrie unentbehrlich waren? - Wir dürfen nicht etwa den fünf genannten Betrieben oder den wirtschaftsleitenden Organen den Schwarzen Peter zuschieben. Die Verschmutzung der Saale ist der Preis, den wir für die Lösung vordringlicher Aufgaben in Kauf nehmen mußten.

Deshalb ist auf dem Gebiete des Umweltschutzes in der Chemieindustrie an der Saale ein großer Nachholebedarf vorhanden. Wir können nicht erwarten, daß sich das von heute auf morgen ändert und im nächsten oder übernächsten Jahr in der Saale wieder gebadet werden kann. Über die Kosten für die erforderlichen Reinigungsanlagen in den Betrieben erfuhren wir von Dr. Wehnert eine Größenangabe, die wohl selbst jeden, der notorisch an Wunder glauben möchte, in die Realität zurückruft. Die Kläranlagen erfordern nämlich ein Drittel der Investitionssumme, die ganz Halle-Neustadt gekostet hat. Sie sind daher nicht in ein - zwei Jahren aufzubauen." Doch die Vorarbeiten haben bereits begonnen. Die ersten Ausbaustufen werden 1975 in Betrieb genommen.

 

Die Reinhaltung der Saale ist jedoch nur ein Teil dessen, was sich gegenwärtig und schon in allernächster Zeit an der Saale tut, um den Menschen wieder mehr Erholungsmöglichkeiten zu bieten. Einen zweiten großen Komplex bildet der Ausbau und Neubau von Erholungseinrichtungen an den Ufern und in den Städten entlang der Saale. In Halle selbst wurde bereits der Kultıırpark Peißnitz geschaffen, der vielseitige Möglichkeiten zur Erholung sowie zur kulturellen und sportlichen Betätigung bietet: außer Grünanlagen und Blumenrabatten zwei große Ausstellungshallen, die unter anderem das künstlerische Schaffen im Bezirk Halle zeigten, Bühnen, Sportzentren und so weiter. Entsprechendes ist in allen anderen Städten und Gemeinden entlang der Saale im Gange, in denen es bisher an Erholungsmöglichkeiten fehlte. Überall werden Bäume gepflanzt, Wege angelegt, Restaurants renoviert, erweitert oder neu gebaut, Sportstätten errichtet, Zentren für spezielle Hobbys geschaffen, wie zum Beispiel für Angler. Die Wende ist schon eingetreten. Das Lied von „der Saale hellem Strande“ wird in absehbarer Zukunft wieder aktuell!

Hans Kleffe