Von der AfD-Wiese zum Identitären Haus

Heute wurde in Halle/S. das Identitäre Haus eröffnet. Nicht, dass ich dort hingehen wollte. Ich hatte noch ein Buch aus der Uni-Bibliothek und das konnte ich doch nun zurückgeben.

Auf meinem Weg in die Innenstadt kam ich an der "AfD-Wiese" am Wasserturm vorbei. "Dünge-Terroristen" hatten den mangelernährten Rasen an genau den Stellen gedüngt, die die inkriminierten Buchstaben AfD sattgrün hervortreten ließen. Die Stadt hatte sofort Anzeige erstattet und den Rasen millimeterkurz schneiden lassen. Besonders mutige Kämpfer gegen Rechts haben eine breite Furche über den gesamten Schriftzug gepflügt. Ein von der Lokalzeitung befragter Experte riet, einfach den gesamten Rasen zu düngen. Aber dafür ist offensichtlich kein Geld da.

Am Steintorplatz demonstrierte die Antifa. Eine Rednerin meinte, die Identitären würden nur ihre Ethnie akzeptieren, was irgendwie schon eine Vorform von Gewalt sei und Gegengewalt rechtfertigen würde. Nunja, die Antwort ist eine Binse: Patrioten achten und respektieren alle anderen Nationen und Gruppenzugehörigkeiten, während Chauvinisten die eigene Nation über die anderen stellen. Ich hatte den starken Verdacht, dass die Demo mich intellektuell unterfordern würde und gab endlich in der Uni-Bibliothek das Buch zurück. Das war so alt, dass es nicht einmal einen Barcode hatte, wenigstens brauchte ich auch keine Strafe zu zahlen.

Die Demo hatte sich inzwischen in Bewegung gesetzt. 700 Teilnehmer zählte die Polizei, 1000 die Veranstalter. Auch aus Dresden und Leipzig waren Linksjugend und Antifa angereist und wollten zwei Stunden lang kreuz und quer durch die Stadt marschieren. Wenig später meldete Stadtblogger Enrico, dass die Demo aufgehalten wurde, weil Vermummte nicht auf ihren Körperschmuck verzichten wollten. Ich schaute mir inzwischen den neuen Uni-Campus an, ein gelungenes Gebäude-Ensemble, hauptsächlich für die geisteswissenschaftlichen Fakultäten. 

Und in der Haupt-Sichtachse das besagte Identitäre Haus, mit Losungen behängt. Drei Stunden später stellte die Lokalzeitung ein Filmchen online, das die Demonstration an der Ecke Kuckhoff-/ Abderhaldenstraße zeigt. Man rief sinnige Losungen wie "Wir kriegen Euch alle!" Auf der anderen Seite der Polizeiabsperrung etwa 100 Indentitäre, die auch von überall her angereist sein sollen. Da war ich schon längst wieder zu Hause, hörte die kongolesische Hitparade auf Radio Corax und las auf Philosophia Perennis einen Aufsatz von Naomi Seibt: Nationalismus und moderne politische Rechte: Warnende Vorboten eines neuen Nationalsozialismus?

Die Überschrift klingt zwar wie ein naseweißer Schulaufsatz, der Text aber hat es in sich, thematisiert den flachen Faschismusbegriff des Mainstream und die daraus abgeleiteten Tabusetzungen, sehr lesenswert. Naomi Seibt ist erst 16 Jahre alt und beschäftigt sich auch mit Fragen wie: "Kann man es heute noch verantworten, Kinder in die Welt zu setzen?" Warte noch ein wenig Mädel, möchte man ihr da zurufen.