Drei Hämmer für den Herren und Gnade für Renegaten

"Gnade ist das bedingungslose Grundeinkommen für die Seele."

 

Dieser Satz blieb bei mir "hängen", als Anfang April in der Lutherstadt Wittenberg eine neue Anthologie vorgestellt wurde: "sola scriptura 2017 - Lyrik und Prosa im Schreibwettbewerb zum Reformationsjubiläum". Im Ausschreibungstext war nach „Luthers Leistung als Provokation für die Leistungsgesellschaft“ gefragt worden. Deshalb griffen vor allem Kinder und Jugendliche Themen wie Leistungsdruck und Zwang zur Selbstoptimierung auf. Andere wollten  dem Dr. Luther endlich mal etwas ins Stammbuch schreiben: Also das mit dem Antisemitismus ginge ja nun überhaupt nicht, fand Preisträgerin Susan Doege.

Und Preisträgerin Jutta Oltmanns rügte die Nonnen um Katharina von Bora, weil diese bei ihrer Flucht Alte und Kranke ungepflegt im Kloster Nimbschen zurückgelassen hätten. Wobei sächsische Adelige wohl eher kein Pflegedienst waren.
"Sola scriptura" heißt: nur die Schrift zählt. Christen bräuchten keine Vermittlungsinstanz mehr, wer (die Bibel) lesen könne, könnte überall mitreden. So weit der 500-jährige Irrtum.

Aber auch Profiautoren sehen sich als die besseren Reformatoren, wie dies Friedrich Christian Delius in seiner gerade erschienen Streitschrift zeigt: "Warum Luther die Reformation versemmelt hat". Delius will endlich das Dogma von der Erbsünde knacken. Kirchenvater Augustinus hatte bei seiner Bibel-Übersetzung geschlampt und Luther hat es ihm durchgehen lassen, beide hätten so die frohe Botschaft zur Drohbotschaft gemacht. Andere wollen die Seelenwanderung zurück haben und hadern mit der byzantinischen Kaiserin Theodora, die beim Konzil von 547 den Christen die Reinkarnationslehre ausgetrieben hatte. Tierwohl-Initiativen hätten von diesem Revisionismus zweifellos Vorteile, müssten sich aber den Vorwurf der Geschichtslosigkeit und des Renegatentums gefallen lassen, wenigstens in einem linksautoritären Glaubenssystem.

Doch Gottes Gnade ist für alle da. Zurück zur Buchvorstellung im  Refektorium des Wittenberger Lutherhauses. Die endete mit dem Choral "Ein feste Burg ist unser Gott" und wenigstens zum Thema Musik und Leistungsdruck ist es der Anthologie gelungen, neues beizutragen. Eine Violinistin berichtete vom Vorspielen an einer Musikschule, bei dem sie beinahe eine Angststörung entwickelt hätte. Ein kleiner Junge bewahrte sie davor. Er hatte bei den ersten Stücken fröhlich mitgesungen und war deshalb aus dem Saal entfernt worden. Als sie an der Reihe war, spielte die Violinistin nur für den kleinen Musikfreund, der sich inzwischen draußen an der Tür festgekrallt hatte ...

Draußen auf der Collegienstraße schlug mir wieder die geballte Luthermania entgegen: Plakatwände, Fahnen, Menschenmassen, bullige Security-Typen in Schwarz, Reisebusse, Bimmelbahnen.
"Event über Event. Die Organisatoren hatten einen großen Vorteil, der gewiss nicht alltäglich ist. Während andernorts meistens die Mittel knapp sind – in Wittenberg fließt das Geld in Strömen", schreibt die Mitteldeutsche Kirchenzeitung "Glaube + Heimat" unter dem Titel "Seelsorge im Riesenrad". Und weiter:
"Mindestens eine halbe Million Besucher werden erwartet. In 16 Wochen sind etwa 2000 Veranstaltungen geplant. Sieben Großveranstaltungen zu sieben Themen sollen den aktuellen Bezug zur Reformation herstellen. Als teuerstes Projekt gilt die Kunstschau »Luther und die Avantgarde« im Alten Gefängnis, wo 68 national und international renommierte Künstler ihre Sicht auf die Reformation darstellen. Ein 20 Meter hohes Riesenrad soll Raum für Seelsorge bieten."

Vieles in den bunten Katalogen, Flyern und Programmheften wirkt zusammengesucht und beliebig. Die Events "Herrgottsb'scheisserle" oder "Luther bei die Fische" wirken etwa so sachbezogen wie der nackte Typ, der kürzlich seinen Penis mit Sekundenkleber an die Wittenberger Schlosskirchentür geklebt hat.
Für die Ausstellung "Kunst im Knast" würde es sich wohl lohnen, noch einmal (oder überhaupt) nach Wittenberg zu fahren. Die Nationale Sonderausstellung "Drei Hämmer für Luther - die volle Wucht der Reformation" wäre zunächst eher aus der Ferne zu beobachten.

sola scriptura 2017 - Lyrik und Prosa im Schreibwettbewerb zum Reformationsjubiläum. Wartburg-Verlag Eisenach 2017. 12,-€

Delius, Friedrich Christian. Warum Luther die Reformation versemmelt hat. Eine Streitschrift. Rowohlt-Verlag Reinbek 2017. eBook 3,-€

http://www.3xhammer.de/


http://www.glaube-und-heimat.de/2017/03/19/seelsorge-im-riesenrad/

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