Ansichten eines Edelsteins

Montagsdemo für den Frieden in Halle/S., diesmal an einem Sonnabend. Etwa 200 Personen begeben sich auf einen kilometerlangen Marsch durch den Nieselregen.

Endlich sind wir auf dem Markt angekommen, ein Schlagersternchen singt, ein Typ aus Hannover hat sein eigenes Rednerpult gebastelt - mit großem Bundesadler darauf. Die Demo-Organisatoren meinen, der Bundesadler sei ein Hoheitssymbol, hier ginge es um Kritik an Staatshandeln, also das genaue Gegenteil.

In einem Freiluft-Café sitzt der Stadtvorsitzende der Linkspartei mit seinem Beagle beim Milchkaffee. Der Hund ist kaum zu beruhigen, wahrscheinlich wittert er die "Querfront".

Nun provozieren die "Antideutschen", etwa 10 albern kostümierte Personen marschieren brüllend auf die Demonstration zu, werden von einem zweiköpfigen
Deeskalations-Team der Polizei aufgehalten.

Die Provokateure zeigen ein Transparent der Spaßpartei, als deren Jugendverband sie jetzt auftreten. Bei den Piraten sind sie längst wieder ausgetreten, "Antifa" heißen sie auch nicht mehr, denn ihre Kumpels in Kiew sind ja schwer "Fa". Bei den Sonneborn-Jüngern können die Schreihälse nun völlig unbeschwert von Inhalten ihrem Karrierestreben frönen.

Sitzen wäre jetzt nicht schlecht, es muss ja nicht gleich in Bautzen II sein. Die Müller-Schale, ein innovatives Dachbauteil aus Beton wirbt für eine Ausstellung im Stadtmuseum. Ich setze mich auf die Schale, Pedram Shahyar redet und die Demonstranten füttern mich mit veganen Schmalzschnitten.

Screenshot am 23.08.2014
Screenshot am 23.08.2014

Die Medienvertreter sind schon wieder weg, das "Hallespektrum" hat sogar schon eine Schlagzeile gebastelt: "Frieden, Chemtrails, ein besetztes Land". Einige leicht deutschnationale Sprüche über die mangelnde bundesrepublikanische Eigenstaatlichkeit wurden auf dem Marsch geklopft, aber von "Chemtrails" habe ich wirklich nichts gehört. Auf dem Mobiltelefon tippe ich meine Meinung direkt unter den Artikel und werde sofort vom Chefideologen des "Hallespektrum" böse angefahren: "Glotzen aufmachen!" Er verlinkt ein selbst geschossenes Foto der Rückseite eines Plakats, auf dem mit Bleistift geschrieben und durchgestrichen, mit einiger Phantasie das Wort "Chemtrails" zu lesen ist.

Screenshot am 23.08.2014
Screenshot am 23.08.2014

"Das ist allerdings eine heiße Spur, Herr Enthüllungsjournalist von Radio Brocken - schießt mit den Socken!" tippe ich darunter. Was den peinlichen Dudel-Radiomacher endgültig in Rage bringt, er enthüllt auch gleich meinen Realnamen. Fehlen nur noch die GPS-Koordinaten für einen Drohnen- oder Mörserangriff - aber die haben sie wahrscheinlich längst von meinem Mobiltelefon bekommen.

Auf dem Rückweg komme ich am Plakat eines Bestatters vorbei, der anbietet, meine künftige Asche zu einem Diamanten zu pressen. Ich überlege, dass ich den per Testament der Spaßpartei vermachen könnte. Mit der ausdrücklichen Aufforderung, den Edelstein zu Werbezwecken zu verwenden und dem Vorschlag für einen Plakattext: "Dieser Diamant ist auch dafür, dass Wohngebiete mit möglicherweise andersdenkender Bevölkerung sofort mit Kriegswaffen beschossen werden!"

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